von Gregor Weigand
Im Jahre 1993 schrieb der us-amerikanische Politologe Samuel Huntington einen Aufsatz mit dem Titel „Clash of civilisations“, friedlich übersetzt heißt dies: Das Zusammentreffen der Kulturen. Anlass seiner Betrachtungen waren die Erfahrungen aus dem ersten Golfkrieg und dem Jugoslawienkrieg. Um solche kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Kulturkreisen für die Zukunft zu vermeiden, stellte er drei Prinzipien auf: Das Prinzip der Enthaltung, das Prinzip der gemeinsamen Vermittlung und das Prinzip der Gemeinsamkeiten. Letzteres Prinzip beschreibt er so: „Menschen in allen Kulturen sollten nach Werten, Institutionen und Praktiken suchen und jene auszuweiten trachten, die sie mit anderen Menschen gemeinsam haben“. Seit über zwei Jahrzehnten treibt diese Idee auch der katholische Theologieprofessor Hans Küng mit seinem ökumenischen Projekt „Weltethos“ voran.
Doch das friedliche Mahnen der beiden Professoren wurde bisher in der westlichen Welt nicht genügend beachtet. Huntington ist grundlegend missverstanden worden, denn sein Aufsatztitel wurde aggressiv verstanden und der Titel übersetzt als „Kampf der Kulturen“. Diese Deutungsweise impliziert, dass eine kriegerische Auseinandersetzung der verschiedenen Weltkulturen in Zukunft unvermeidlich sei. In der gegenwärtigen weltpolitischen Lage scheint es so, dass viele westlichen Staaten auch nach dieser Prämisse politisch und militärisch handeln. Der bevorstehende Ausbruch des Irak-Krieges war ja auch Anlass für die Einrichtung unseres Rheingauer Ökumenischen Friedensgebetes, ein Zeichen dafür, dass wir diese Politik des Eskalation nicht für richtig halten.
Gegenbeispiele zu Eskalationspolitik waren die Positionen der letzten Bundesregierung, der Evangelischen Kirche Deutschlands, der Deutschen Bischofskonferenz und besonders die von Papst Johannes Paul II., die alle eine militärische Intervention im Irak entschieden abgelehnt hatten, gerade weil sie die Anheizung der kulturellen Auseinandersetzung befürchteten. Die Zeit nach dem Irak-Krieg zeigt, dass sie leider Recht behielten.
„Kampf der Kulturen“ bedeutet, dass beim allgemein konstatierten Wiedererstarken von Religion überhaupt insbesondere zwei Weltreligionen in diesen Kampf impliziert sind, nämlich Christentum und Islam. Das Judentum hat zwar eine Sonderstellung, ist aber als religiöse Minderheit, die vorwiegend westlich geprägt ist, eher dem jüdisch-christlichen Kulturkreis zuzurechnen. Christentum und Islam sind zahlenmäßig die stärksten Weltreligionen. Heute sind es 1,8 Milliarden Christen und 1,3 Milliarden Muslime, wobei Muslime und Katholiken etwa gleich stark sind. In fünfzig Jahren wird durch die Bevölkerungsentwicklung die Zahl der Muslime genauso groß sein wie die Zahl der Christen insgesamt, beiderseits etwa 2,2 Milliarden Menschen. Durch die zunehmende Migration gehen die Kulturbrüche quer durch alle Länder dieser Erde. In Deutschland leben unter knapp 60 Millionen Menschen bereits 3,5 Millionen Muslime. Schon die Beschreibung dieser Situation mit Blick in die Zukunft zeigt uns, dass wir auf jeden Fall einen kriegerischen Kampf der Kulturen vermeiden müssen. Schon jetzt ist auf keinen Fall sicher, dass die westlich-christliche Welt diesen Kampf siegreich gewinnen könnte. Das Gegenteil könnte genauso der Fall sein. Eine solche Machtspekulation erscheint mir aber auf beiden Seiten absurd.
Ähnlich verhält es sich mit der Wahrheitsfrage. Da sich zwei Religionen mit dem annähernd gleichen Machtpotential gegenüberstehen, kann nicht eine der beiden Religionen behaupten, sie hätte die ganze Wahrheit für sich gepachtet, sie sei wahrer als die andere. Es stellt sicherlich einen schmerzlichen Prozess für beide dar, dies einzusehen. Beide Religionen sollten, wie es Huntington und Küng vorgeben, nach gemeinsamen Werten, Institutionen und Praktiken suchen, um ein gegenseitiges Verständnis zu erreichen.
Auch Papst Benedikt XVI. ist von der Notwendigkeit eines Dialoges der Kulturen, wie er in seiner Regensburger Vorlesung abschließend ausführt, überzeugt. Und er wollte sicherlich auch den Weg dorthin weisen, indem er herausarbeitete, dass ein Dialog nur im vernünftigen Diskurs geführt werden kann. Er zeigte in seiner Rede auf, wie Religion und Vernunft über die Jahrhunderte im jüdisch-christlichen Denken zueinander fanden. Er machte deutlich, dass heute der Vernunftbegriff nicht auf das naturwissenschaftliche Denken begrenzt werden darf und dass Glaube und Religion wieder einen berechtigten Platz an der Universität haben müssten.
Aber warum schloss er die Muslime von diesem vernunftgemäßen Dialog der Wissenschaften aus? So muss man es jedenfalls annehmen, wenn man dem Duktus seiner Rede folgt. Das mehrfach in allen Zeitungen abgedruckte Zitat des byzantinischen Kaisers Manuel II. aus dem Jahre 1391, welches Papst Benedikt benutzte, hat nach meinem Gefühl, welches auf einer langjährigen Erfahrung im interreligiösen Dialog beruht, viele Muslime verständlicherweise beleidigt, aus eben diesem Grund möchte ich es nicht wiederholen. Die Verwendung des Zitates legt nahe, dass der Papst dem Islam ein von seinen Ursprüngen her ungeklärtes Verhältnis zur Gewalt unterstellt und ihm deswegen seine Vernunftgemäßheit abspricht. Benedikt sagt weiter: „Glaubensverbreitung durch Gewalt ist widersinnig, sie steht im Widerspruch zum Wesen Gottes. Nicht vernunftgemäß handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider“. – Hiermit zeigt Benedikt für das Christentum einen nicht mehr aufhebbaren Grundsatz an, er möchte damit gleichzeitig auch Hinweise für die Zukunft des interreligiösen Dialoges geben. Ich nehme sogar an, dass viele Muslime ihm in dieser Aussage sogar gerne zustimmen würden.
Erschreckend bleibt jedoch die Einseitigkeit des Zitats, das nur auf die Muslime bezogen ist. Er erwähnt hier nicht, obwohl er es mit Sicherheit weiß, dass einer seiner Vorgänger gepredigt hat: „Bewaffnet euch mit dem Eifer Gottes, liebe Brüder, gürtetet eure Schwerter an eure Seiten, rüstet euch und seid Söhne des Gewaltigen! Wendet die Waffen, mit denen ihr in sträflicher Weise Bruderblut vergießt, gegen die Feinde des christlichen Namens und Glaubens!“ – So Papst Urban II. im Jahre 1095 im Aufruf zum ersten Kreuzzug. Darauf folgten schon im Jahre 1096 die Ermordung der Juden in den rheinischen Städten, so auch in Mainz und 1099 die blutige Eroberung Jerusalems, wo die Kreuzritter im Tempel Salomons bis zu den Knöcheln im Blut der niedergemetzelten Muslime und Juden wateten. Es folgen weitere Kreuzzüge, die Kreuzzugspredigt Bernhard von Clairvaux’s, die Inquisition, die Ketzer- und Hexenverbrennungen, die Glaubenskriege, Zwangsbekehrung der Indianer, christliche Kriegsbegründung und Kriegsverherrlichung bis hin zum Zweiten Weltkrieg. All das weiß Papst Benedikt, sagte es aber nicht. Könnte man denn nicht genauso daraus folgern, dass das Christentum ebenso unvernünftig und dem Wesen Gottes zuwider wäre? –
Das Christentum hat eigentlich erst mit der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges und seinen Begleitumständen die Erfahrung (hoffentlich endgültig!) gemacht, dass Religion und Gewalt unvereinbar sind. Sollte man nicht gerade über diese geschichtliche Erfahrung mit den Muslimen reden?
Besonders die deutschen Muslime sind über die Regensburger Vorlesung des Papstes frustriert. Das ergab eine Nachfrage bei meinem islamischen Dialogpartner von der „Masjíd Ali-Moschee“ in Mainz-Kostheim Said Nasri, der sich seit Jahren im interreligiösen Dialog in Wiesbaden bemüht. Er hat sich als Vorsitzender des Islamischen Kulturvereines in den letzten Jahren um den Neubau einer Moschee verdient gemacht und dort eine lebendige Gemeinde aufgebaut. In den Räumen dieser Moschee konnten wir im Mai anlässlich einer interreligiösen Tagung sogar eine katholische Ostervesper feiern. Es sind offensichtlich auch in dieser Gemeinde die Emotionen nach der Papstrede hochgegangen und Herr Nasri und der Imam hatten es schwer die Gemeindemitglieder zu beruhigen. „Ausgerechnet ein deutscher Papst benutzt ein solches Zitat, das die Muslime kränkt, in Deutschland, einem Land, in dem der Dialog bisher vorbildlich und weit fortgeschritten war“, so Nasri. Dem Dialog sei dadurch großer Schaden zugefügt worden. Der Imam habe jedoch den Gläubigen gesagt, dass kein Papst und kein Hassprediger sie vom Dialog abbringen könnten. - Wahrscheinlich könnte in diesem Jahr, bis sich die Gemüter beruhigt hätten, zunächst kein Dialog mehr stattfinden.
Es war sicher auch sehr unglücklich, dass in dem Zitat des Papstes, die Person des Propheten Mohammed erwähnt wurde, den die Muslime sehr verehren. Gefühlsmäßig können Christen dies nur vergleichen mit der eigenen Reaktion darauf, wenn ein Muslim etwas Schlechtes oder Unwahres über Jesus Christus sagen würde.
Alle Reaktionen der Muslime lagen sicherlich nicht in der Absicht des Papstes, sie zeigen aber auch dass wir Christen uns nicht in der Rolle eines Schulmeisters gegenüber dem Islam sehen dürfen. Ein ernsthafter Dialog kann nur unter gleichberechtigten Partnern stattfinden. Weltweit sind Christen und Muslime gleichstark. Wir haben aber in Deutschland die einmalige Chance zum vernunftgemäßen Dialog, da es auf beiden Seiten viele gut Ausgebildete gibt, und sollten sie gerade deswegen nutzen. Von diesem Dialog in Deutschland und Europa könnten Impulse für die ganze Welt ausgehen und auch im Islam eine Veränderung im Denken und eine gegenseitige Annäherung der Religionen bewirken. Es geht zunächst darum, das Gemeinsame zu entdecken, langfristig müssen wir Christen sicherlich auch eigene Positionen überprüfen. Das Gleiche gilt für die Muslime. Schon um der friedlichen Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder willen sollten wir den Dialog beginnen. Es gibt keine friedliche Alternative dazu! Die Alternative dazu wäre nur der „Kampf der Kulturen“. Der Verlauf dieses Kampfes wäre allerdings mit vielen Menschenopfern verbunden und sein Ausgang wohl auch sehr ungewiss!
Für den Rheingau heißt dies, dass wir uns um näheren Kontakt zu den muslimischen Gemeinden in Geisenheim und Rüdesheim bemühen sollten. Zum Beginn des Ramadan wünsche ich unseren muslimischem Mitbrüdern und Mitschwestern Gottes Barmherzigkeit und Gottes Segen.
Dipl.-Theol. Gregor Weigand, Pastoralreferent